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Fakultät Physik
Teilchenphysik

LHCb QCD & Astroteilchenphysik

Kosmischer Strahlungsfluss und seine Zusammensetzung, gemessen durch mehrere Experimente [1].
Abb. 1: Kosmischer Strahlungsfluss und seine Zusammensetzung, gemessen durch mehrere Experimente [1].

In der von Dr. Hans Dembinski geleiteten Untergruppe QCD-Wirkungsquerschnitte für die Astroteilchenphysik messen wir die Produktionsquerschnitte identifizierter langlebiger Hadronen in Minimum-Bias-Kollisionen, die zur Abstimmung von Soft-QCD-Modellen benötigt werden, welche in Luftschauer-Simulationen verwendet werden, und um die Anomalie der Myonenproduktion in Luftschauern zu verstehen.

In der Astroteilchenphysik untersucht man das extreme nicht-thermische Universum mit Hilfe von Boten-Teilchen: Gammastrahlen, Neutrinos und kosmische Strahlung. Bei der kosmischen Strahlung handelt es sich um hochenergetische Kerne, typischerweise im Bereich von Wasserstoff bis Eisen. Kosmische Strahlen sind die energiereichsten Teilchen, die je beobachtet wurden. Ihre Quellen sind noch weitgehend unbekannt, da sie in interstellaren und intergalaktischen Magnetfeldern zufällig gestreut werden.

Hochenergetische kosmische Strahlung mit Energien über 100 TeV wird indirekt über Luftschauer nachgewiesen. Die Eigenschaften der kosmischen Strahlung (Energie, Masse, Richtung) können aus dem Luftschauer abgeleitet werden, was jedoch genaue Simulationen der QCD-Wechselwirkungen im Schauer erfordert. Beim Vergleich von Ergebnissen, die auf der Myonenproduktion in Luftschauern basieren, mit Ergebnissen, die auf der Tiefe des Schauermaximums beruhen, haben das Pierre-Auger-Observatorium [2-5], IceCube [6] und andere Experimente [7,8] Diskrepanzen zwischen der simulierten Myonenproduktion in Luftschauern und der tatsächlichen Produktion festgestellt. Diese Anomalie ist als das Myon-Rätsel bekannt.

Vorausgesagte Myonenproduktion als Funktion der Tiefe des Schauer-Maximums für kosmische Kerne von Proton bis Eisen (Linien) und Auger-Datenpunkt [1].
Abb. 2: Vorausgesagte Myonenproduktion als Funktion der Tiefe des Schauer-Maximums für kosmische Kerne von Proton bis Eisen (Linien) und Auger-Datenpunkt [1].

Die wahrscheinlichste Erklärung [1] für die anomale Myonproduktion ist eine verstärkte Produktion von Hadronen und Baryonen mit Strange-Quarks in der Vorwärtsregion, die den sogenannten R-Faktor verringern würde, das Verhältnis der Energie in neutralen Pionen relativ zur Energie in anderen Hadronen (siehe Abb. 2). Eine unerwartet hohe Produktion von Strange-Quarks als Funktion der Dichte geladener Teilchen in der Kollision wurde bereits bei Kollisionen am LHC beobachtet [9,10], allerdings ist der R-Faktor in der für Luftschauer entscheidenden Vorwärtsproduktion noch nicht genau bekannt. In dieser Untergruppe messen wir Produktionsquerschnitte prompter langlebiger Hadronen in Kollisionen die jene in Luftschauern imitieren, und den R-Faktor zu bestimmen und letztlich die Anomalie um die Myonproduktion zu lösen.

Ein Einführungsvortrag über das Myonenrätsel erschien in der Reihe "Faszination Astronomie Online" und kann auf YouTube angesehen werden.

Spektren prompter identifizierter geladener Teilchen

Wir analysieren die Spektren von prompten geladenen Pionen, Kaonen und Protonen in Proton-Proton-Kollisionen bei 13 TeV und Proton-Blei-Kollisionen bei 8,16 TeV. Dies ist eine Fortsetzung von Ref. [11], in dem die Spektren prompter nicht identifizierter geladener Teilchen gemessen wurden. Die Teilchenidentifizierung in LHCb basiert auf Messungen der RICH-Detektoren. Die Detektorantwort wird dabei mit einem neuronalen Netz modelliert, das anhand von Kontrollmessungen trainiert wurde. Die Herausforderung für eine Präzisionsmessung liegt in der genauen Modellierung dieser Detektorantwort. Aus dem Ergebnis gewinnen wir wertvolle Informationen zum R-Faktor.

Strangeness und Baryonenproduktionsquerschnitte

Wir studieren den φ-Produktionsquerschnitt in Proton-Proton-Kollisionen bei 13 TeV über den Zerfall φ → Κ⁺Κ⁻, als Fortsetzung früherer Studien der Dortmunder Gruppe bei 7 TeV. Neu ist die Abhängigkeit des Produktionsquerschnitts von der Dichte der geladenen Teilchen zu messen, die in der Kollision produziert werden. Auch hieraus gewinnen wir Information zum R-Faktor, da die φ-Produktion proportional zur Produktion von Strange-Quarks ist.

Wir untersuchen ausserdem das K⁰/Λ-Verhältnis in den kommenden Proton-Proton-Kollisionen bei 14 TeV in Run 3 über die Zerfälle K⁰ → π⁺π⁻ und Λ → pπ⁻. Die Analyse der φ-Produktion soll ebenfalls auf Run 3 erweitert werden. Die Zerfälle von K⁰, Λ, und φ eignen sich ideal für eine frühe Messung mit dem neu verbesserten LHCb Detektor, da diese Zerfälle häufig sind und aufgrund ihrer Kinematik gut vermessen werden können, selbst wenn der Detektor noch nicht optimal kalibriert ist. Die Messung liefert wertvolle Daten zum Meson/Baryon-Verhältnis, welches ebenfalls in den R-Faktor eingeht.

Weiterhin untersuchen wir die Produktion von Strange-Quarks bei Kollisionen der LHC-Strahlen mit einem Gas-Target. Hierbei werden kleine Mengen an Gas in das Vakuum des LHCb-Detektors eingeleitet, und die LHC-Strahlen kollidieren mit dem Gas. Das Hauptinteresse gilt den Proton-Sauerstoff(Gas)-Kollisionen, die für Run 3 geplant sind, und Wechselwirkungen von kosmischen Strahlen mit Luft exakt imitieren. Die derzeitige Arbeit konzentriert sich auf die zuvor aufgezeichneten Proton-Helium(gas)- und Proton-Neon(gas)-Daten während Run 2, mit denen man hin zu Proton-Sauerstoff(gas) interpolieren kann.

Präzise Messungen der Luminosität

Um absolute Produktionsquerschnitte zu messen, muss die Luminosität der LHC Strahlen genau bestimmt werden. Messungen zur Luminosität werden bei LHCb von Dr. Elena Dall’Occo geleitet. Wir untersuchen mit Van-der-Meer- und Emittance-Scans in Run 3 den bisherigen Rekord von 1,16 % Unsicherheit in LHCb bei Proton-Proton-Kollisionen bei 8 TeV verbessern. Dabei spielt der neue PLUME Detektor [12] eine entscheidende Rolle, mit dem Luminosität auch während der normalen Datennahme genau vermessen wird. Die bisherige Analysesoftware wird dabei auch von der Sprache R auf die bekanntere Sprache Python portiert und erweitert.

Statistische Methoden und Analysesoftware

Die Untergruppe entwickelt aktiv Software und neue statistische Methoden, die bei LHCb und darüber hinaus eingesetzt werden. Dr. Hans Dembinski war Leiter der Arbeitsgruppe Statistik und maschinelles Lernen bei LHCb und ist Mitglied des Scikit-HEP-Projekts und des Boost C++-Projekts. Er trägt zum wissenschaftlichen Python-Stack (matplotlib und scipy) und zum ROOT-Framework des CERN bei.
Ein paar Highlights: